"Rassismus begegnet uns alltäglich. Es ist an der Zeit, die kolonialen und rassistischen Denkmuster zu überwinden.“
So lautete ein Eintrag im digitalen Gästebuch der Ausstellung, die die Schüler*innen des Projektkurses Geschichte über ein Jahr lang konzipiert und erarbeitet haben und am 25. Mai im Rahmen der Langen Nacht der Kunst in Gütersloh zeigen konnten.
Diese Rückmeldung machte die Schüler*innen besonders glücklich, war doch genau dies das Ziel, die Verwobenheit von rassistischen Welt- und Menschenbildern mit den – zum Teil bewusst, zum Teil unbewusst – weitergeführten kolonialen Traditionen offenzu-legen und zu kritisieren. Dabei sollte zudem deutlich gemacht werden, dass dieses Phä-nomen nicht abstrakt ist, sondern sich auch konkret in Bezügen zu Gütersloh manifes-tiert.
Die Ausstellung
Mit dem Ziel den „kolonialen Blick“, der ein rassistisches und eurozentrisches Welt- und Menschenbild in sich trägt, offenzulegen, zu kritisieren und seine Tradition zu hinterfra-gen, setzte sich die Schüler*innengruppe selbst eine große Herausforderung. Insbeson-dere, da die aktive Kolonialzeit des Deutschen Reiches mit dem Unterzeichnen der Ver-sailler Vertrages bereits 1919 offiziell endete und Gütersloh auf dem ersten Blick wohl nicht zum Zentrum kolonialer Bestrebungen zählen dürfte. Ein Weg, dieses Hindernis zu überwinden, war das Recherchieren von Objekten, die den Alltag der Menschen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts prägten und die den „kolonialen Blick“ zum Teil nur bei ge-nauem Hinschauen in sich trugen.
Hierbei stießen die Schülerinnen und Schüler vor allem unter Mithilfe des Historikers Eckhard Möller, Lasse Stoevesandt und Julia Kuklik vom Stadtarchiv Gütersloh und Franz Jungbluth vom Stadtmuseum Gütersloh auf eine sehr breite Palette von Objekten, die zeitlich im 19. Und 20. Jahrhundert anzusiedeln waren.
Aus der aktiven Kolonialzeit des Deutschen Kaiserreiches, fielen vor allem die Vielzahl an Annoncen in Gütersloher Tageszeitungen auf, die einen Bezug zum Kolonialismus her-stellten und gleichzeitig ein Indiz für die große Menge an Einzelwarengeschäften, die Produkte aus den Kolonien bezogen oder sich gleich „Kolonialwarenladen“ nannten, waren. Besuchende der Ausstellung, die im Haus der Kunst des Städt. Gymnasium aufgebaut wurde, mussten sich ihren Weg durch eine „Dusche“ aus Zeitungsannoncen bahnen. Im Anschluss fand eine Kontextualisierung statt und die Annoncen konnten den verschiedenen Geschäften, die auf einer Karte der Innenstadt verortet wurden, zugeord-net werden.
Mit diesen Eindrücken, dass das Thema Kolonialismus vor gut 100 Jahren auch in Gü-tersloh kein randständiges gewesen sein muss, trafen die Besucherinnen und Besucher gleich auf ein spannendes Ensemble aus einem schweben Gehstock sowie Replikaten aus einem Album, dass der Gütersloher Kaufmann Kissing auf seiner Reise durch Asien um 1900 angefertigt hatte. Das Album zeigt vor allem Menschen bei ihren „typischen“ Tätigkeiten. Die Schüler*innen identifizierten dieses Album sowie den Gehstock, der ebenfalls durch einen Gütersloher Kaufmann aus der ehemaligen deutschen Kolonie Tsingtau nach Ostwestfalen gelangte, als Trophäen, die ein in Europa weit ver-breitetes Überlegenheitsgefühl gegenüber den in den Kolonien lebenden Menschen illustrierte. Zudem konnten vor allen die Photographien in dem Album als Beispiel eines „positiven“ Rassismus gegenüber nicht-weiß gelesenen Menschen gedeutet werden, indem diese exotisiert und somit als fremd gekennzeichnet wurden.
Ein noch deutlicherer Bezug zu Gütersloh war sicherlich die Station, an denen Besuchende Bücher in die Hand nehmen konnten, die im Bertelsmann Verlag erschienen waren. Tatsächlich handelte es sich um mit Buchcovern beklebte Pappdosen, die mit interessanten und zum Nachdenken anregen Informationen gefüllt waren. Die dargestellte Literatur stammte allesamt aus der Zeit des Nationalsozialismus und verherrlichte das Leben in den Kolonien als Abenteuer oder romantische Geschichte. Ziel der Autoren und Herausgeber war es dabei ein Bewusstsein zu erzeugen, dass das Deutsche Reich die Kolonien im Versailler Vertrag zu Unrecht verloren hätte und ein natürliches Anrecht auf diese haben würde. Dieses, durch Politik und Teile der Gesellschaft bewusst gesteuerte Phänomen des Kolonialrevisionismus war bereits zur Zeit der Weimarer Republik weit verbreitet und manifestierte sich ebenfalls in einem anderen zentralen Objekt der Aus-stellung.
Den Schüler*innen lag ein „Zigarettenalbum“ aus dem Jahre 1938 vor, das wohl am ehesten als Sammelalbum, vergleichbar zu heutigen „Panini-Heften“, zu beschreiben ist. Während das Sammeln von Fußballbildchen sicherlich als harmlos zu bezeichnen ist, war das „Zigarettenalbum“ geprägt von deutlich rassistischen Darstellungen und Verharmlosungen der Gewalt in den Kolonien. Als Beispiel fungiert hier die Beschreibung des Genozids an den Herero und Nama in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika. Diese Seite des Zigarettenalbums wählten die Schülerinnen und Schüler aus, um es durch einen selbst erstellten Kontrast im Stile der Machart des Albums zu kontrastieren. Ein Mittel, dass sich durch die weitere Ausstellung durchzog und von den Schüler*innen wie folgt begründet wurde.
Aus ihrer Sicht verfehlen in Ausstellungen lange Informationstexte häufig ihr Ziel der Kritik und der Information, da nach einiger Zeit die Aufmerksamkeit der Besuchenden nachlassen würde. Am Ende blieben dann vor allem die Bilder und Objekte im Gedächtnis, was insbesondere in dieser Ausstellung dazu geführt hätte, dass transportierte Rassismen nicht kritisiert, sondern im schlimmsten Fall reproduziert worden wären.
Um einen anderen Zugang zu ermöglichen, hat sich die Gruppe also entschieden, vor allem mit graphischen Mitteln auf die aus ihrer Sicht angebrachte Kritik hinzuweisen. Um dies auch umsetzen zu können hat sich der Projektkurs Geschichte im Laufe des Schuljahres zu einem Kooperationskurs mit der Fachschaft Kunst entwickelt, wobei vor allem Franziska Emken und Anne Haverland mit den Schüler*innen erarbeiteten, wie sich mit visuellen Mitteln ihre Ideen zum Ausdruck bringen können.
Im weiteren Verlauf der Ausstellung – angekommen in der Zeit der BRD – erwies sich dieses Mittel als besonders herausfordernd. Gerade hier zeigte sich der „koloniale Blick“ besonders subtil z.B. in Form von Wandkarten, die in Gütersloher Schulen eingesetzt wurden, Abbildungen auf Gewürzdosen aus Gütersloh, einer Schulkarte des afrikanischen Kontinentes oder eines Kinderbuches, das in Gütersloher Geschäften kostenlos an Kinder verteilt worden ist. Die Ergebnisse dieser Auseinandersetzung sind hier in der Bildergalerie teilweise zu sehen.
Am Ende der Ausstellung hatten die Besucher*innen die Möglichkeit, selbst aktiv zu werden. Die Kunst-AG von Anne Haverland hatte einen Workshop vorbereitet, in dem es möglich war, typische Kolonialwaren aus Pappmaché herzustellen und auf diesem Wege auch über aktuelle Bezüge des Themas ins Gespräch zu kommen.
Alle diejenigen, die sich ärgern die Ausstellung verpasst zu haben, können sich darauf freuen, dass sie noch einmal aufgebaut werden soll. Aller Voraussicht nach wird sie ab September als Sonderausstellung im Stadtmuseum wiederzusehen sein.
An dieser Stelle sei noch einmal ein sehr herzliches Dankeschön an alle bereits genannten Beteiligten gerichtet, ohne euch wäre diese Ausstellung nicht möglich gewesen. Vielen Dank auch an alle diejenigen, die die Ausstellung besucht haben und so ermutigendes Feedback gegeben haben, wie dieses hier:
„Unfassbar gut durchdachte Ausstellung! Multimedial, immersiv und informativ. Besser als viele ‚professionelle‘ Ausstellungen.“
Von Michael Brunnert