Wie tödlich die Fluchtroute über das Mittelmeer ist, kommt in zahlreichen Nachrichten über gekenterte Boote immer mal wieder ins Bewusstsein. Das Bild des toten syrischen dreijährigen Jungen Alan Kurdi, der 2015 an der türkischen Küste angeschwemmt wurde, erschütterte damals die Weltöffentlichkeit. Doch das Sterben im Mittelmeer und auf den Fluchtrouten über Land geht weiter. Angesichts der zahlreichen Krisen und Kriege der letzten Jahre geraten diese Menschen allzu zu oft in Vergessenheit. Daher wollten zahlreiche Gütersloher Initiativen und Einzelpersonen am Buß- und Bettag 2023 auf die „Todesursache Flucht“ aufmerksam machen.
Auch fünf Schülerinnen und Schüler aus der Jahrgangsstufe Q1 des SG erinnerten bei einer bewegenden 6-stündigen Lesung in der Apostelkirche an diese Menschen, die auf der Flucht ums Leben kamen: weil sie auf seeuntüchtigen Schlauchbooten im Mittelmeer kenterten und ertranken, weil sie auf der gefährlichen Flucht über die europäische Ostgrenze in Bulgarien oder der Türkei erfroren, weil sie bei dem Versuch nach Großbritannien zu gelangen, von Autos erfasst wurden und starben, weil sie in Europa bei einem rassistischen Übergriff ums Leben kamen oder aus Angst vor ihrer Abschiebung Suizid verübten. Die Todesumstände der Geflüchteten sind vielfältig, und viele der Menschen sind namentlich unbekannt.
Die Gütersloher Stadtgesellschaft wollte am Buß- und Bettag ein Zeichen setzen. Der evangelische Pfarrer Stefan Salzmann hatte die Lesung organisiert und die Lesenden in 15-minütigen Abständen koordiniert. Zahlreiche Initiativen und Einzelpersonen beteiligten sich, darunter auch das Städtische Gymnasium und das Evangelisch Stiftische Gymnasium. Die Schicksale, die an diesem Tag in der Apostelkirche verlesen wurden, erschütterten die Zuhörenden. Yahya, Frederik, Duygu, Hannah und Sofia gaben durch ihre Lesung den Menschen ihre Würde und falls bekannt auch ihren Namen zurück. Die Menschen, zumeist aus Afrika oder Asien, die ihre Flucht vor Verfolgung und Not mit dem Leben bezahlten, sollen nicht vergessen werden, das war die Motivation der Teilnehmenden, sich an der Lesung zu beteiligen. Und wir sollen aufmerksam werden auf ihr Schicksal.
Bei der Lesung wurden das Datum der dokumentierten Todesfälle und die Umstände, soweit sie bekannt waren, verlesen. Nach jeder Lesephase ertönte ein Gong, und nach einiger Zeit unterbrach nachdenkliche Musik die erschütternden Schicksale.
Im Jahr 2023 wurden allein für die Fluchtroute Mittelmeer bisher fast 2.500 Tote gezählt, seit 2014 sind es über 30.000. Für die vergangenen dreißig Jahre sind inzwischen mehr als 51.000 Menschen, die auf der Flucht nach und in Europa ums Leben gekommen sind, in einer Liste dokumentiert, die das europaweite Netzwerk UNITED for Intercultural Action mit Sitz in Amsterdam führt. Die meisten Toten sind ohne Namen verzeichnet. Einige Namen wurden recherchiert, um die Menschen dem Vergessen zu entreißen und um das Ausmaß dieser Tragödie besser zu fassen zu können.