02.05.2023 (älterer Beitrag)

E-Mail an den perfekten Augenblick

Von: Viktoria Aschentrup

An: Den perfekten Augenblick

Thema: Wo bist du?

Sehr geehrter perfekter Augenblick,

ich habe schon viel von dir gehört und schreibe dir nun, um mir Antworten zu erhoffen.
Denn ich glaube, ich wurde vergessen, bin durch die Lappen gerutscht oder was auch immer.
Gab es irgendeine Anmeldung oder Bestellliste dafür?
Ich hätte nämlich wirklich gerne auch einen…
Diesen einen Moment, wo die Zeit still steht, die Gedanken fließen und nicht von A nach B wuseln, bis totales Chaos herrscht. Das Gefühl von Freiheit und Geborgenheit. So vertraut und glücklich zu sein, dass nichts und niemand dazwischen kommt.
Zu leben, ohne Atmen zu müssen.
Zu leben, ohne nachdenken zu müssen.
Leben, ohne das Falsche zu fühlen.
Leben. Frei von allem. Im Einklang mit meinem Herz. Ohne das der Bauch etwas anderes sagt, als der Kopf. Ohne das ich aus Angst das Falsche zu tun, gar nichts tue oder das Falsche.
Ich warte. Tag und Nacht. Von morgens bis abends. Von Atemzug zu Atemzug.
Doch du kamst nicht.
Liegt es an mir?
Oder gibt es dich nicht?
Generell nicht oder nur nicht für mich?
Sag, wo bist du?!
Es gibt doch so viele Augenblicke, viele wundervolle Augenblicke, aber wo bist du?
Wo ist der perfekte Augenblick?
Wann bist du eigentlich perfekt?
Wann ist etwas überhaupt perfekt?
Wenn kein Teil im Puzzle mehr fehlt? Wenn der Strich perfekt gerade ist? Oder sich die Sonne mit allen möglichen warmen Farben vom Himmel verabschiedet?
Bin ich dir vielleicht einfach nicht perfekt genug?
Ja, ich habe Makel.
Ja, ich habe Sachen, die mich gewöhnlich machen.
Ja, vielleicht habe ich es auch nicht verdient.
Aber…
…aber sie sind das besondere an mir.
Sie machen mich menschlich. Denn Menschen machen Fehler.
Und nur weil man es nicht verdient hat, heißt das nicht, das man keinen haben kann.
Niemand ist perfekt.
Aber kann ein Augenblick, ein Moment dann überhaupt perfekt sein?
Sind nicht manchmal auch die komischsten und unpassendsten Momente die besten?
Ich weiß es nicht.
Aber was ich weiß, dass man jeden von diesen Augenblicken, egal wie winzig, genießen sollte.
Auskosten, bis man nichts mehr schmeckt.
Ausharren, bis sich die Farbe verliert.
Ja, ausleben, bis der Sauerstoff zum Atmen leer ist.
Also lieber perfekter Moment… was sagst du?
Bist du wirklich real oder einfach nur zu schüchtern, um dich zu zeigen?
Weißt du was?
Ich denke ich werde einfach jede Sekunde, jeden Augenblick so leben, wie es für mich perfekt ist. Denn warum kann ich mir nicht selber diesen Augenblick schaffen? Warum warte ich und hoffe auf dich, wenn fast jeder Augenblick perfekt sein könnte?
Oh, du willst die Gebrauchsanweisung dazu… das Rezept… klar! Sobald ich das selber herausgefunden habe, gerne.
Aber bis dahin… lebe ich einfach nur, schließe meine Augen und fühle meinen Herzschlag.
Auskosten. Ich koste mein Leben aus, bis ich nichts mehr schmecke.
Ausharren. Ich hatte es aus, bis sich die Farbe endgültig verliert.
Ausleben. Ja! Ich lebe es aus, bis mein Sauerstoff zum Atmen verbraucht ist.
Ich lebe es.
Ich lebe sie.
Die Momente.
Die Augenblicke.

Also liebe Grüße!
Vielleicht sehen wir uns ja mal.

Vicky