Vom 8.-10.11.2021 war es dem Projektkurs Geschichte der Q1 möglich, eine Exkursion nach Westflandern zu machen. Unter dem Projektnamen „Amikejo“ (Esperanto für: Ort der Freundschaft) fuhren wir gemeinsam mit Schülergruppen des Candae-College Duiven (Niederlande) und der OKAN-Schule Roeselare (Belgien) in eine vom ersten Weltkrieg besonders betroffene Region Belgiens, die in der heutigen Zeit viel Raum und Möglichkeit für Erinnerung an den „Grande Guerre“ bietet. An vielfältigen Zielen und in einigen Workshops sollten die Gruppen gemeinsam Inhalte erschließen, Methoden kennenlernen und in einen produktiven, freundschaftlichen Austausch kommen.
Natürlich spielte bei den Planungen im Vorfeld und vor Ort auch die Corona-Pandemie eine große Rolle. Wir konnten die Fahrt glücklicherweise durchführen, eine hohe Impfquote der Beteiligten und tägliche Tests aller Teilnehmer*innen und Lehrkräfte sowie Maskenpflicht im Bus und in geschlossenen Räumen ermöglichten die Exkursion.
Kann die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg uns heute helfen, den Frieden in Europa zu sichern? Wie wichtig ist Erinnerungskultur hinsichtlich dieser sogenannten „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ in Deutschland, aber auch in den Nachbarländern? Und: Wie können wir uns heute nachhaltig erinnern? Diese Fragen stellen nur einen kleinen Teil des ursprünglichen Gedankengerüsts dar, dass die Initiatorin des Projekts, Heidi Timmermans von der Gedenkregion Westflandern, und die organisierenden Lehrkräfte, Museumsmitarbeiter und Theater-Pädagogen aus Belgien, Deutschland und den Niederlanden bei der Planung antrieb. Bereits in der Vorbereitung war klar geworden: Diese Fahrt würde besonders werden und den Schüler*innen Ansätze bieten, die neu und ungewohnt sein würden.
Bereits die Zusammensetzung der gesamten Gruppe war spannend, für einige Schüler*innen sicher auch herausfordernd und ungewohnt. Um den Austausch und Kontakt zu verstärken, wurden die Gruppen der drei Schulen in sogenannten Buddy-Teams zusammengestellt, aus jeder Schule gehörte ein*e Schüler*in zur Buddy-Gruppe. Sie arbeiteten in Workshops zusammen, tauschten sich dort und auch in der Freizeit näher aus und bekamen so noch einmal einen ganz anderen Eindruck von der anderen Sicht auf die Dinge.
In den Workshops wurden weniger Daten und Fakten zum 1. Weltkrieg vermittelt, sondern eher Anregungen zum Umgang mit Erinnerung und zur Verknüpfung der eigenen Bedürfnisse mit der Erinnerung an z.B. die Männer im Schützengraben gegeben. Der Begriff „Universal Needs“ regte dazu an, zu reflektieren, was für uns in der heutigen Zeit unabdingbar ist. Gleichzeitig wurde dann überlegt, wie das wohl für die sich im Krieg befindenden Männer gewesen war. Nicht selten wurde Parallelen und Auswirkungen auf unser heutiges Leben festgestellt, was sicher auch durch den Austausch in den Gruppen begünstigt wurde.
Am ersten Abend machte die gesamte Gruppe, ausgehend von der Unterkunft, dem Peace-Village Mesen, einen Spaziergang zum Irish-Peace-Park. Er ist als der zentrale Erinnerungsort in Mesen zu betrachten, bereits bei der Anfahrt fällt der markante Turm ins Auge. Hier erfuhren die Teilnehmer wissenswertes zur begründung des Erinnerungsortes und auch zur Erinnerungsgeschichte, die sich zwischen Großbritannien und Irland nicht immer einfach gestaltete, aber auch zur Aussöhnung beiträgt.
„Wir haben viel Freiraum während der Wanderung bekommen und hatten so die Möglichkeit, die Niederländer und Belgier eigenständig kennenzulernen. Das war erfolgreich und hat Spaß gemacht. Auch das Ausflugsziel war gut und die Wanderung war ein Erfolg.“
(Roman Voßhans)
Am Dienstag wartete dann ein recht straff organisiertes Programm auf die Teilnehmer*innen. Zunächst besuchten wir eine Flüchtlingsunterkunft, in der einige Schüler der belgischen Gruppe leben. Der Besuch machte deutlich, welche Auswirkungen Krieg auch heute noch auf Menschen haben kann und bat somit einen ganz anderen Aspekt bezüglich des Umgangs mit Geschichte an.
Im Anschluss daran besuchten wir den deutschen Studentenfriedhof Langemark, einen zentralen Gedenkort. Die Buddy-Gruppen waren hier auf sich gestellt, unsere Schüler*innen hatten die Aufgabe, ihren Buddies den Aufbau und die Geschichte, z.B. den Mythos „Langemarck“ näherzubringen. Darauf hatten sie sich bereits in Gütersloh vorbereitet. Auch wenn der sprachliche Austausch in einigen Gruppen an manchen Stellen etwas schwierig war, war die Resonanz auf diesen Besuch fast ausschließlich positiv.
„Es ist sehr beeindruckend, so einen Friedhof zu betreten und anzuschauen. Wenn man bedenkt, dass dort mehr als 50.000 begraben liegen, ist man echt überwältigt.“
(Benno Schulz zum Studentenfriedhof)
Der Besuch der Stadt Ypern, die mit ihren allabendlichen Last-Post-Gedenkveranstaltungen und dem Flanders-Fields-Museum eine Stadt im Zeichen des Gedenkens ist, stellte mit Sicherheit einen Höhepunkt der Fahrt dar. In verschiedenen Gruppen hatten die Schüler*innen hier die Gelegenheit, das Museum zu besuchen und sich dort von einem Mitarbeiter, der die Fahrt inhaltlich mitgestaltet hatte, besondere Ausstellungsdetails erklären zu lassen. Gleichzeitig wurde auch Zeit eingeräumt, das nach dem Krieg vollständig zerstörte, aber komplett wieder aufgebaute Ypern eigenständig zu erkunden. In einem dritten Block nahmen die Teilnehmer*innen an einem Theater-Workshop des AGORA-Theaters teil. Hier wurden Grundlagen der Theaterpädagogik vermittelt, die gleichermaßen gruppen- wie persönlichkeitsbildend sein sollten. Das AGORA-Theater beschäftigte sich zuletzt aktiv mit der Geschichte von Neutral-Morisnet. Das neutrale Gebiet im Dreiländer-Eck zwischen Belgien, den Niederlanden und Deutschland, welches vom Wiener Kongress 1815 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs 1919 bestanden hatte, ist ein Kuriosum europäischer Geschichte und stellt den zentralen Untersuchungspunkt der zweiten Exkursion dar, die im Februar des nächsten Jahres stattfinden wird. Sicher kamen während des Thetaerworkshops einige Teilnehmer an ihre Grenzen, da der biografische Zugang natürlich auch den Weg aus der Komfortzone bedeutete, viele meldeten aber auch zurück, dass dieser völlig neue Ansatz spannend und interessant war.
Am Abend nahm die gesamte Gruppe dann am „Last Post“ am Menen-Tor in Ypern teil. Jeden Abend gedenkt man hier feierlich den gefallenen Soldaten, auf dem Menentor sind mehr als 40.000 Namen vermisster britischer Soldaten zu lesen. Eine der Buddy-Gruppen legte während der stimmungsvollen Zeremonie einen Kranz ab.
„Ein schönes Ereignis, mit einer ganz besonderen Atmosphäre. Es war schön dem Projekt und dem Gedenktag in dieser Weise Respekt zu erweisen und sich da hinein zu versetzen.“
(Sofiya Zatsarynna über den „Last Post“)
Dieser stimmungsvolle, aber auch anstrengende Tag wurde gemeinsam mit einem Lagerfeuer im Außenbereich des Peace-Villages abgeschlossen, bei dem die Atmosphäre gut war und deutlich wurde, dass die drei vorab getrennten Gruppen inzwischen gut zueinander gefunden hatten. So war es nicht verwunderlich, dass am Abreisetag Nummern ausgetauscht wurden und sich eigentlich alle schon auf das nächste Treffen im Februar freuten. Mesen, das Peace-Village und Westflandern war somit definitiv zu einem „Ort der Freundschaft“ geworden, und wie kann man Erinnerungskultur eigentlich besser betreiben als grenzübergreifend und in Freundschaft?
von Charlotte Läzer